Alarmstufe Rot

Bericht von Jürgen Zacharias auf militaeraktuell.at

 

Im Ernstfall bleiben dem Bundesheer nur wenige Minuten, um Terroranschläge aus der Luft zu verhindern. Der Ablauf von der Kontaktaufnahme mit verdächtigen Flugzeugen bis zum Heranführen von Eurofighter oder Saab-105 ist klar geregelt.

 

Als am 11. September 2001 um 9.03 Uhr Ortszeit United-Airlines-Flug 175 in den Südturm des World Trade Centers in New York kracht, ist klar: Die USA werden gerade Opfer eines groß angelegten Terroranschlages. 17 Minuten zuvor schlug bereits eine American-Airlines-Boeing 767 in den Nordturm des Weltfinanzzentrums, zu diesem Zeitpunkt glaubten Bevölkerung und die zuständigen Militärs aber noch an einen Unfall. Nun wird klar: Terroristen nehmen mit Verkehrsmaschinen zivile Ziele ins Visier, landesweit schrillen die Alarmglocken, Abfangjäger steigen auf. Als um 9.37 Uhr eine weitere Boeing das Pentagon trifft, erlässt die Flugaufsichtsbehörde ein Startverbot und einen Landebefehl für alle Inlandsflüge in den USA, das Weiße Haus und das Kapitol werden evakuiert. Wenig später wird eine vierte entführte Maschine – United-Airlines-Flug 93 – bei Shanksville vermutlich von den Passagieren zum Absturz gebracht. Die Bilanz ist trotzdem verheerend: Rund 3.000 Menschen werden durch die Anschläge getötet. Mit dem World Trade Center liegt ein Symbol für die Finanzkraft und die wirtschaftliche Stärke des Westens in Schutt und Asche. Und die USA beginnen im Herbst 2001 mit der Intervention in Afghanistan als Reaktion auf die Terrorattacke ihren globalen „Krieg gegen den Terror“, der bis heute kein richtiges Ende gefunden hat.

Foto vom ÖBH
Fotograf Zinner

 

Was das mit Österreich zu tun hat? Auf den ersten Blick wenig, liegt Österreich auf der Prioritätenliste von Terroristen doch eher im unteren Bereich. Ein ähnliches Szenario gilt für hierzulande als äußerst unwahrscheinlich. Und trotzdem: Gänzlich ausschließen kann man Anschläge wie 9/11 aber auch für Österreich nicht und so kommt der Luftraumüberwachung (LRÜ) für die Sicherheit unseres Landes eine oft unterschätzte Rolle zu. Pro Jahr muss sie rund 1,3 Millionen Flugbewegungen im Auge behalten, praktisch ohne Vorwarnzeit auf Abweichungen vom Flugkurs und abgerissene Funkverbindungen reagieren und notwendige Gegenmaßnahmen einleiten.

Die zivile Austro Control ist für die Kommunikation mit Verkehrsmaschinen und Privatflugzeugen verantwortlich, ihre rund 300 Fluglotsen sorgen für den sicheren Ablauf des Flugverkehrs über Österreich und an allen österreichischen Flughäfen. Zum Thema für das Bundesheer werden Flüge dann, wenn sie unangekündigt ihren Kurs ändern, Notfall-Transponder-Signale (beispielsweise Code 7500 für Hijacking – Entführung eines Flugzeuges) absetzen oder der Funkkontakt abreißt (COMLOSS – Communication Loss). In dem Fall versuchen zunächst zivile Controller weiter Kontakt auf der normalen Frequenz und der Notfallfrequenz herzustellen und das Problem aufzuklären. Gelingt das nicht, erfolgt eine Alarmierung des diensthabenden Leiters in der Einsatzzentrale Basisraum (EZB) in St. Johann im Pongau. Um bei solchen Ernstfällen keine Zeit zu verlieren arbeiten im Military Control Center (MCC) militärische Controller eng mit zivilen Kollegen zusammen. In der Luftraumüberwachungszentrale in der EZB haben Soldaten – parallel zu den Fluglotsen der Austro Control – stets den gesamten Flugverkehr über Österreich am Schirm. Ihre Daten bekommen sie von den drei Großraumradarstationen des Systems „Goldhaube“ am Steinmandl (Leiser Berge), Kolomansberg (Oberösterreich) und am Großen Speikkogel, dem höchsten Gipfel der Koralpe. Ergänzt wird das Lagebild von mobilen und zivilen Systemen, auch mit Nachbarländern werden Daten ausgetauscht. Die österreichische Luftraumüberwachung überblickt damit ein Gebiet, das in jede Richtung mehrere hundert Kilometer über die Grenze hinausreicht.

Zurück zum Ernstfall: Kann mit dem auffällig gewordenen Flugzeug weiter kein Funkkontakt hergestellt werden, erfolgt – in Abstimmung zwischen der EZB und dem Bundesministerium für Landesverteiteidigung – der Befehl zum Alarmstart mit Priorität „Alpha“. Pro Jahr kommt es zu rund 50 derartigen Alarmstarts. Je nach Verfügbarkeit und Position des Flugzeugs steigen dann zwei Saab-105 am Fliegerhorst Vogler in Linz-Hörsching oder zwei Eurofighter am Fliegerhorst Hinter­stoisser in Zeltweg auf. Parallel dazu koordinieren die militärischen Fluglotsen einen Flugkorridor für die Militärmaschinen zum Zielobjekt, für die Führung der Jets in der Luft ist der Radarleitoffizier in der EZB verantwortlich. Beim zivilen Flugzeug angekommen (im Ernstfall wird auch Überschall geflogen) setzt sich eine Maschine links neben das Cockpit und die zweite Maschine zur Überwachung dahinter. Der Pilot der vorderen Maschine versucht danach Sichtkontakt herzustellen, um einen Überblick über die Situation zu gewinnen und die Maschine zu identifizieren. Ist nur die Funkverbindung ausgefallen? Befindet sich der Pilot an seinem Platz? Halten sich bewaffnete Personen im Cockpit auf? Oder lassen die Reaktionen von Passagieren auf einen Vorfall an Bord oder gar auf eine Flugzeugentführung schließen?

Abhängig vom gewonnen Lagebild setzen die Bundesheer-Piloten nun – stets in Rücksprache mit den verantwortlichen Stellen in der EZB – nächste Schritte. Ist nur die Funkverbindung defekt, wird die Maschine weiter zur Grenze begleitet. Ist die Situation uneindeutig, können Saab-105 und Eurofighter die Maschine zur Landung zwingen – freilich nur, wenn sie auch Folge leistet. Angezeigt wird dies durch sogenannte „Rocking Wings“, die Maschine links neben dem Cockpit wippt mit den Tragflächen, das Zeichen ihr zu folgen. Der Bundesheer-Jet übernimmt die Führung und leitet einen Sinkflug zu einem nahegelegenen Flugplatz ein, dessen Landepiste zuerst überflogen wird. Dabei fährt der Bundesheer-Jet sein Fahrwerk aus, für die abgefangene Maschine das Zeichen zu landen.

Foto vom ÖBH
Fotograf Zinner

Reagiert die Maschine auf die „Rocking Wings“ nicht und macht auch sonst keine Anstalten auf ihren ursprünglichen Kurs zurückzukehren und Funkkontakt herzustellen, demonstrieren die Bundesheer-Jets Stärke und Entschlossenheit. Diese „show of strengh“ erfolgt durch kreuzen der Flugroute der Maschine in sicherem Abstand von einigen hundert Metern, was allerdings Luftturbulenzen zur Folge hat. Selbst große Passagiermaschinen werden dadurch kräftig durchgeschüttelt. Erfolgt weiter keine Reaktion auf die Versuche zur Kontaktaufnahme (via Funk und Handzeichen), ist der nächste Schritt die Freigabe von Waffengebrauch. Diese erfolgt über die EZB in Rücksprache mit dem Verteidigungsminister und darf nicht als Abschussbefehl missverstanden werden. Die Entscheidungsgewalt über das weitere Vorgehen liegt aber nun beim Piloten, der als nächste Warnung Schüsse in die Luft abgeben wird. Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, wird er die Abfolge aus Kontaktaufnahme, Handzeichen geben, Flugroute kreuzen und Warnschuss abgeben wiederholen. Zeigt sich der Pilot weiter nicht kooperativ kann es im Ernstfall sogar zum Abschuss kommen und damit zu einer schwerwiegenden Entscheidung, die in der Praxis innerhalb weniger Minuten zu treffen wäre. Wäre deshalb, weil es in den vergangenen Jahren nie zu einer derartigen Situation kam.

Haarig war eine Situation am 28. November 2016, als die Austro Control die Luftraumüberwachung über eine türkische Boeing mit 180 Passagieren informierte, mit der beim Einflug nach Österreich der Funkkontakt abbrach, die den Code 7500 absetzte und von Kurs Süd in Salzburg auf Ost in Richtung Wien drehte. Als dann auch noch ein Funkspruch in vermeintlich arabischer Sprache aufgefangen wurde und die Maschine alle Anweisungen der österreichischen Fluglotsen ignorierte, war der Verdacht naheliegend, dass die Maschine als „terroristische Waffe gegen eine größere Stadt in Ostösterreich“ zum Einsatz kommen könnte, ähnlich wie die American-Airlines- und United-Airlines-Flugzeuge 15 Jahre zuvor in den USA. Nach nervenaufreibenden Minuten klärte sich die Situation doch noch in Wohlgefallen. Nach einem dramatischen Druckabfall über Salzburg hatte der Pilot ein Notsinkmanöver eingeleitet und eine Notlandung in Wien geplant. Die Hijacking-Taste hatte er irrtümlich erwischt und aufgrund seiner großen Nervosität dürfte er auch alle anderen Regeln der zivilen Luftfahrt schlichtweg übersehen haben.

Der Vorfall hatte trotzdem sein Gutes: Die Luftstreitkräfte des Bundesheeres konnten anhand eines konkreten Beispiels ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Von der Information der Austro Control an die LRÜ bis zum Sichtkontakt der aufgestiegenen Saab-Piloten mit der Maschine vergingen gerade einmal zwölf Minuten.

 

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